Freitag, August 01, 2003

Die Saga von der ewigen Armut
In einer Presseerklärung hat der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband die Agenda 2010 als "massivsten sozialpolitischen Kahlschlag seit Bestehen der Bundesrepublik" bezeichnet. Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderschutzbund warnte er vor den dramatischen Folgen des "Sozialabbaus" vor allem für Kinder und Jugendliche. Um der wachsenen Armut zu begegnen fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Erhöhung der Sozialhilfe um 16 Prozent und eine Grundsicherung für Kinder.

In der Presseerklärung findet sich keinerlei Erklärung, nach welchem Kriterium die Wohlfahrtsverbände Menschen in Deutschland als "arm" bezeichnen. Es handelt sich immerhin um Menschen, die in ihrer überwiegend Mehrheit über Farbfernsehgeräte, Computer, Waschmaschinen, Mikrowellen und andere Annehmlichkeiten verfügen. Ich erinnere mich persönlich noch recht genau an meine Kinderzeit, als unsere Familie keine von diesen Errungenschaften des modernen Kapitalismus besaß. In einem Fernsehinterview erklärte eine Vertreterin eines Wohlfahrtsverbandes, Kinder wären arm, wenn ihre Eltern nicht genügend Geld hätten, um ein Geburtstagsgeschenk für ein anderes Kind zu kaufen. Dies würde zu einer Ausgrenzung führen. Dieses Beispiel zeigt bereits, dass die Wohlfahrtsverbände Armut anhand von Merkmalen von Durchschnittsfamilien in Deutschland definieren wollen. Sobald Personen oder Familien diesen Durchschnitt nicht erreichen, können sie erwarten, dass sie den Status eines Hilfsbedürftigen zugewiesen bekommen. Dies ist Ausdruck eines Egalitarismus, der die größtmögliche Gleichheit bei der Verteilung des Reichtums innerhalb einer Gesellschaft anstrebt. Selbstverständlich existieren auch Altruisten in Deutschland, die sich nicht damit begnügen, innerhalb des Landes Reichtum umzuverteilen, sondern die stattdessen gleich "globale Gerechtigkeit" einfordern. In der Propagierung dieser Ideen wird besonderer Augenmerk auf die Kinder gelegt, weil diese sich am besten dafür eignen, die altruistischen Gefühle der Bevölkerung auszunutzen oder die weniger altruistischen Zeitgenossen unter einen entsprechend erpresserischen Druck zu stellen.

Die Wohlfahrtsverbände gehen von einem relativen Armutsbegriff aus, der es ihnen ermöglicht, ständig eine genügend große Anzahl von Menschen als "arm" bezeichnen zu können. Wer weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, gilt als arm. Selbst bei wachsenden Einkommen in den unteren Einkommensschichten könnten diese nach der genannten Definition immer noch als arm gelten. Wenn erst einmal genügend Menschen herbeidefiniert worden sind, die angeblich hilfsbedürftig sind, bedarf es für die Propagandisten des Wohlfahrtsstaates keinerlei weiterer Diskussion, um die Hilfe bei denen, die produzieren, auch einzufordern. Die einen haben das Recht auf Hilfe, weil sie bedürftig sind -nach welchen fragwürdigen Kriterien auch immer-, die anderen haben die Pflicht zur Hilfe, weil sie etwas besitzen, was andere gerne haben würden und weil es tugendhaft ist, anderen Werte zu überlassen.

Selbstverständlich umgehen die Wohlfahrtsetatisten auch jede Bewertung des Verhaltens der Wohlfahrtsempfänger, obwohl doch ihre Unverantwortlichkeit häufig geradezu ins Auge springt. Sie brechen ihre Schulausbildung ab, sie erscheinen nicht zur Arbeit, sie setzen Kinder in die Welt, die sie nicht ernähren können, sie konsumieren Alkohol und Drogen. Aber nur ihre Bedürftigkeit zählt wirklich. Die Frage für die Wohlfahrtsetatisten ist nicht: "Was hat sich eine Person verdient?", sondern "Wie verteilen wir die Werte der 'Gesellschaft' fair?"
Die unausgesprochene Annahme hinter ihrer Forderung nach Umverteilung von Reichtum heißt, dass die Individuen für ihren Erfolg oder ihr Scheitern nicht selbst verantwortlich seien. Die Hilfsbedürftigen seien lediglich Pechvögel in der "Lotterie des Lebens". Gerechtigkeit erfordere es, dass "die Gesellschaft" die Werte von den Gewinnern "der Lotterie" enteigne und sie den Pechvögeln aushändige. Diese Argumentation ist das Gegenteil von Gerechtigkeit - sie ist bekannt als Doktrin der "sozialen Gerechtigkeit". Sie ist ein moralischer Angriff auf die Produzenten als solche. "Soziale Gerechtigkeit" bedeutet, dass die Werte, die die Individuuen schaffen, nicht ihnen gehören, sondern jeder Person, die behauptet, sie zu benötigen. Diese Doktrin ist nur der politische Ausdruck der Ethik des Altruismus. Aber wenn der Mensch ein rationales Wesen ist, ausgestattet mit einem freien Willen, dann es sind die Individuen selbst, die verantwortlich sind für ihr eigenes Leben. Wenn sie es sind, die unverantwortliche Entscheidungen treffen, sollte die Ergebnisse eines solches Verhaltens auch bei ihnen ankommen. Auch wenn es tatsächlich nur "unglückliche Umstände" gewesen sein mögen, die sie in Schwierigkeiten gebracht haben, bedeutet dies nicht, dass andere die Ergebnisse dieser Umstände korrigieren müssen. Wer ohne Regenschirm auf die Straße, muss damit rechnen, dass er nass wird, wenn es regnet. Wem der Sturm oder ein Dieb den Regenschirm aus der Hand reißt, hat wirklich Pech gehabt. Aber er hat keinen Anspruch auf den Regenschirm eines der Glücklichen, den dieses Schicksal nicht ereilt hat.

Wenn Menschen für ihr Leben selbst verantwortlich sind, stellt der Wohlfahrtsstaat die Moralität auf den Kopf: Er versucht, Menschen für das Fehlverhalten von anderen zu bestrafen. Und dies bedeutet, dass wir nicht über "Reformen" des Wohlfahrtsstaates diskutieren sollten, sondern über seine Abschaffung.



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