Donnerstag, Juni 09, 2005

Der mißbrauchte Republikaner Friedrich Schiller
Im Magazin Focus berichtet Michael Klonovsky von Hitlers "Wunsch", den sein Sekretär Martin Bormann im Juni 1941 übermittelte, dass Friedrich Schillers Drama "Friedrich Tell" nicht mehr aufgeführt wird und an den Schulen nicht mehr behandelt werden sollte. Gleichwohl war Friedrich Schiller, wie DIE WELT in ihrer Ausgabe vom 7. Mai feststellt, neben Hölderlin der Klassiker, der vom Nationalsozialismus am stärksten für seine Zwecke mißbraucht wurde. Obwohl, wie die Zeitung weiterhin feststellt, Schillers politischen Auffassungen "weltenweit" von den der Nazis entfernt waren. Was dieses "weltenweit" ausmacht, beschreibt der Schiller-Biograph Rüdiger Safranski folgendermaßen: "Er war kein begeisterter Verfechter des uneingeschränkten Volkswillens. Ihm war vor allem gelegen an der Herrschaft des Gesetzes, also an Rechtsstaatlichkeit. Auf die Mehrheiten war in seinen Augen kein Verlass." Ansatzpunkt für diesen Missbrauch von Schiller war laut Safranski vor allem Schillers Faszination für "große Figuren jenseits der Moral". Für Safranski hat diese Faszination allerdings nur "handwerkliche Gründe", liegt also nicht darin begründet, dass Schiller diese Figuren moralisch auf einen Sockel stellte.

Literatur zu Schiller:
Rüdiger Safranski: Friedrich Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus
Rüdiger Safranski: Schiller als Philosoph
Norbert Oellers: Schiller
Andreas Streicher: Schillers Flucht von Stuttgart (antiquarisch)

Mittwoch, Juni 08, 2005

Gegen die Tyrannei
Tyrannei wird in einem Lexikon als "willkürliche und unterdrückende Machtausübung" definiert. Es gab Zeiten, in denen ein Monarch ein Land absolutistisch regierte. Sein Wort war Gesetz, und wenn eine Laune sein Wort änderte, so war das neue Wort Gesetz, auch wenn es das Gegenteil von dem war, was kurz vorher noch galt. Die Menschen mußten immer damit rechnen, von der willkürlichen Tyrannei ihres Herrschers getroffen zu werden. Es gab keine festen Regeln, an die sie sich halten konnten, sie lebten im Zustand der Rechtsunsicherheit.

Wenn man sich moderne Gesetzgeber und Juristen ansieht, könnte man meinen, ihr Ziel bestünde darin, für den heutigen Bürger eine ähnliche Rechtsunsicherheit herbeizuführen. Wie erreicht man das? Man macht Gesetze, deren Texte derart schwammig formuliert sind, dass sie alles und nichts bedeuten können, und die von Richtern willkürlich ausgelegt werden können. Man verbietet etwas per Gesetz, das jeder Mensch zum Leben benötigt. Man erschwert per Gesetz den Verdienst des Lebensunterhalts derart, dass man dieses Gesetz übertreten muss, um überleben zu können: z.B. wenn man die Leute in die Schwarzarbeit treibt, weil man durch Gesetze die ökonomischen Rahmenbedingungen derart verschlechtert hat, dass eine Berufsausübung in einem legalen Rahmen nicht mehr möglich ist; oder man setzt die Einkommenssteuer derart hoch an, dass man Steuerhinterziehung betreiben muss, um überleben zu können. Man erschwert allgemein die Rahmenbedingungen derart, dass Unternehmer nicht mehr wirtschaften können, ohne Regeln zu übertreten. Man führt so viele Regeln ein, dass kein Mensch mehr einen Überblick über sie haben kann und sich letztendlich immer etwas findet, was übertreten worden ist. Oder man führt Gesetze ein, die sich gegenseitig widersprechen, und egal was ein Bürger macht, es immer strafbar ist, weil man je nach Wahl das eine oder das andere Gesetz anwenden kann. Man verbietet das, was vielen Menschen Spass macht, und von dem man weiss, dass sie es trotz gesetzlichen Verbots weiterhin ausüben werden.

Allgemein macht man dann Gesetze nicht mehr zu dem Zweck, dass sie eingehalten werden, sondern damit sie übertreten werden. Gesetze dienen dann dazu, den Bürger erpressbar zu machen. Ziel ist es gar nicht, alle Übertretungen dieser Gesetze zu verfolgen. Im Normalfall werden viele dieser Übertretungen gar nicht verfolgt, auch weil sie nicht alle verfolgt werden können. Zum Einsatz kommt diese Waffe nur dann, wenn man sich jemanden ausgesucht hat, dem man schaden will, z.B. jemand, der die aktuelle Politik kritisiert; der muss strafbar sein; notfalls muss man ihn als Kriminellen abstempeln können, oder man muss ihn sogar aussschalten können, indem man ihn hinter Gitter bringt. Die Willkür besteht in der Auswahl der Person, auf die Gesetze dann angewendet werden. Unterdrücken kann man Kritik oder jeden anderen, der einem unbequem werden könnte; dazu gehören auch Unternehmer, die sich aktuellen Massnahmen nicht fügen wollen oder gegen sie protestieren; oder ein Autor, der ein kritisches Buch veröffentlicht, mit einem kritischen Thema, oder der es wagt, die Wahrheit über Politiker zu sagen, oder etwas politisch Unkorrektes auszusagen. Dann sucht man sich irgendein Gesetz, das er entweder tatsächlich übertreten hat, oder das man als übertreten auslegen kann. Der Politiker, dessen Politik kritisiert wird, tätigt dann einen Anruf zu seinem Parteikumpel in einem bestimmten Amt und beauftragt ihn, den Kritiker doch einmal näher zu untersuchen. Bei all den Gesetzen findet sich bestimmt ein Gesetz, das übertreten worden ist oder das man als übertreten auslegen kann. Und plötzlich sieht sich der Kritiker einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung ausgesetzt; oder er ist Unternehmer und hat plötzlich ein kartellrechtliches Verfahren am Hals. Oder der Kritiker war bisher arbeitslos und hat jetzt das Arbeitsamt auf den Versen, das ihm Schwarzarbeit für eine Nebentätigkeit unterstellt, die bisher keiner beanstandet hatte. Oder er ist Schriftsteller und hat jetzt die Staatsanwaltschaft im Nacken, die ihm ein Verfahren wegen Volksverhetzung in einem seiner Bücher anhängen will. Oder er ist Unternehmer, der jahrelang für eine bestimmte Tätigkeit eine amtliche Lizenz oder Genehmigung erhalten hatte, die er plötzlich nicht mehr erneuert bekommt: eine Klausel in einem Gesetzestext war entdeckt worden, die vorher keiner beachtet hatte.

Um Proteste, Kritiker und unbequeme Personen zu unterdrücken, reicht Einschüchterung aus: der Protestierende muss im Ungewissen bleiben, was ihn erwartet; je unberechenbarer und gefahrenreicher die Rechtsunsicherheit ist, desto besser für denjenigen, der die Einschüchterung betreibt. Wenn Bürger vor Willkür und Einschüchterung geschützt werden sollen und Rechtssicherheit haben sollen, muss der Staat auf ein Minimum reduziert bleiben, und die Gesetze, die es gibt, müssen eindeutig formuliert sein, sodass eindeutig klar ist, was strafbar ist und was nicht.