Samstag, Juni 28, 2003

Archöologie des Antiamerikanismus
Der Historiker Klaus Schwabe begann seine Vorlesung im Augustinerkloster zum Thema Antiamerikanismus mit einem Zitat:
"Den Amerikanern traue ich eine große Zukunft (schon) deshalb nicht zu, weil sie in meinen Augen ein verderbter und korrupter Staat sind. Dazu kommen noch Gesellschaftsgegensätze in der schwersten Form. Das antike Rom war ein kolossaler ernster Staat ... In England ist das heute nicht so. Trotzdem ist mir ein Engländer tausendmal lieber als ein Amerikaner ... Einen Haß und eine Abneigung tiefster Art habe ich gegen den Amerikanismus. Jeder europäische Staat steht einem näher."

Das Zitat ist von Adolf Hitler. Es datiert aus dem Winter 1941/1942 nach der deutschen Kriegserklärung an die USA. Hitlers bekundete Abneigung "tiefster" Art gegenüber Amerika ist verständlich, weil er Amerika als das Land der Aufklärung ablehnte, weil er Amerikas Gründungsideal -die Rechte des Individuums- ablehnte, weil er Amerika als die erste moralische Gesellschaft der Geschichte ablehnte. Dies ist die primäre Quelle des Hitlerschen Antiamerikanismus, nicht der machtpolitische Gegensatz zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten, auch wenn dieser die ursprüngliche Motivation noch verstärkt haben dürfte.

Antiamerikanismus bedeutet die Stilisierung Amerikas zum Popanz, weil es für die Werte der Aufklärung steht, die abgelehnt und bekämpft werden. Der Hass auf bestimmte Werte existiert unabhängig von der Existenz Amerikas, er fokusierte sich nur mit einer wachsenden internationalen Bedeutung der USA aus unterschiedlichen Motiven auf die USA. Die Existenz eines militanten Antisemitismus hat nichts mit der Existenz von amerikanischen Juden zu tun, er projiziert lediglich antisemetischen Hass auf einen ganzen Staat, der mit Juden in Verbindung gebracht wurde und wird. So sprachen Vertreter der antisemitischen "Rechten" in den zwanziger Jahren von Amerika als dem "Judenstaat" oder vom Amerikanismus als "geronnenem Judengeist." Die gemäßigt Linke geißelt Amerika als "Plutokratie", während die radikale Linke in Amerika den eigentlichen Kriegstreiber sah, der zum Nutzen der eigenen Waffenindustrie handele. Der Antiamerikanismus hat auch nichts mit Unwissenheit zu tun. Das antiamerikanische Standardwerk der zwanziger Jahre stammte von einem Journalisten, der Amerika sehr gut kannte. Klaus Schwabe sieht in seiner Vorlesung den Beginn der antiamerikanischen Strömungen in Deutschland erst im 20. Jahrhundert, als deutsche und amerikanische Interessen in der Welt aufeinanderstießen, wobei erst der Ausbruch des 1. Weltkrieges den Antiamerikanismus wirklich massenwirksam werden ließ. Schwabe sieht auch durchaus die Gemeinsamkeiten des Antiamerikanismus des zwanziger Jahre und des Antiamerikanismus der "Achtundachtziger" - trotz aller Unterschiede, wenn er dies bedauerlicherweise nicht in seine Definition von Antiamerikanismus mit einbezieht: "Vor allem teilt er mit seinem Vorgänger die Stoßrichtung gegen das vorherrschende politische 'System' im eigenen Land, überhaupt gegen den 'bürgerlichen' Liberalismus und dessen Werte; er teilte auch die Solidarisierung mit dem, was man vor 1933 als 'Gemeinschaft der jungen Völker' bezeichnet hatte und was jetzt 'Dritte Welt' genannt wurde." Gemeinsam ist dem historischen und dem aktuellen Antiamerikanismus auch die Neigung, die Realität zugunsten des antiamerikanischen Popanz nicht wahrnehmen zu wollen, so zum Beispiel die Unterstützung Amerikas für die deutsche Wiedervereinigung oder die Rückendeckung, die Amerika Deutschland bei der Revision des Versailler Vertrages tatsächlich gab.

Es sollte nicht verschwiegen werden, und Schwabe weist dankenswerter Weise darauf hin, dass zu den Hochzeiten des kulturkritisch argumentierenden Antiamerikanismus der zwanziger Jahre auch eine Gegenbewegung "in der Presse der demokratischen Mitte" sich wiederspiegelte, die Amerika vielfach als Vorbild ansah.

Freitag, Juni 27, 2003

Gerechtigkeit für die Streikenden
Im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Streiks in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie wird von den Gewerkschaften sehr häufig der Begriff "Gerechtigkeit" strapaziert. Ein Gerechtigkeitsproblem gibt es in der Tat in Bezug auf die Streikenden, aber ganz anders als es die Streikenden oder die Gewerkschaften vermuten. Die Ungerechtigkeit liegt darin, dass die Arbeitgeber so tun müssen, es handele es sich bei den Streikenden nicht um vertragsbrüchige Arbeitnehmer. Unter normalen Umständen wäre eine Arbeitsverweigerung natürlich ein Grund für eine fristlose Kündigung. Nicht in diesem Fall: Da es sich um einen "legitimen" Arbeitskampf handelt -legitimiert durch den Staat- dürfen die Arbeitgeber keinen der Streikenden einfach entlassen und durch einen Arbeitswilligen ersetzen. Dies wäre illegal. In einer freien Gesellschaft wäre dies anders. Selbstverständlich kann jemand streiken, wenn er dies für richtig hält. Nur Sklaven dürfen nicht streiken. Aber er müßte dann auch die mögliche Konsequenz dieser Arbeitsverweigerung tragen - seine Entlassung.

Donnerstag, Juni 26, 2003

George Reismans "Capitalism" online
George Reisman hat sein Werk "Capitalism - A Treatise on Economics" jetzt auch auf CD herausgebracht und gleichzeitig das gesamte Buch online gestellt - allerdings ohne eine Druckfunktion. Reismans Werk ist das umfassendste und beste Buch über das Thema Kapitalismus, das mir bekannt ist.

Dienstag, Juni 24, 2003

Steuern als Gebühr und Steuern als Diebstahl
In dem Aufsatz Tax Codes Reflect Moral Codes aus der Zeitschrift Navigator des Objectivist Center (TOC) vertritt Edward L. Hudgins die Auffassung, dass Steuern, die der Finanzierung der angemessenen Staatsfunktionen -Polizei, Gerichte, Militär- dienen, als Gebühren ("fee") rechtmäßig seien, während Steuern, die nur der Umverteilung dienten, einen Diebstahl darstellten und somit unrechtmäßig seien: "Die angemessenen Staatsfunktionen müssen unterstützt werden, aber eine Besteuerung, die der Finanzierung von Aktivitäten jenseits der legitimen Sphäre des Staates dient, sollte als unmoralische Enteignung gebrandmarkt werden."
Anmerkung: Dies sind überraschende Formulierungen, weil Rand eine freiwillige Finanzierung der notwendigen Staatsfunktionen anstrebte, wovon in dem Artikel von Hudgins nicht die Rede ist.
Entgegen der von Politikern häufig suggerierten Zweckbindung von Steuern dienen diese der allgemeinen Finanzierung des Staates ohne irgendeine Bindung an einen Verwendungszweck. Diese sind auch keine Gebühren, da keine individuelle zurechenbare Gegenleistung erbracht wird. In einem Minimalstaat wäre es sicherlich denkbar, dass die Staatsfunktionen derartig reduziert sind, dass die allgemeinen Steuereinkünfte nur noch für die legitimen Staatszwecke Verwendung finden dürfen. Der Autor des Objectivist Center könnte auch an eine Art Zwangsbeitrag für Verteidigungsleistungen durch alle Inländer gedacht haben, der direkt an die begünstigte Institution fließen würde, wie es etwa in Deutschland mit den IHK-Beiträgen der Fall ist.
Das Streben nach Glück
Am Donnerstag (26.) öffnet das Philosophencafe' am Maiberg zum fünften Mal. In der Tradition der bisherigen Abende sollen zwei Denker aus den Anfängen der Philosophie zu Rate gezogen werden, diesmal zum Thema Glück. Aristoteles hat in einem seiner Hauptwerke, der Nikomachischen Ethik, davon gesprochen, dass alle Menschen nach dem Guten und dem Glück streben.

Quelle: Echo-Online

Montag, Juni 23, 2003

Open letter to the free people of the world from Iranian students
Iranische Studenten klagen an: auf WorldTribune steht ein offener Brief von iranischen Studenten, der eine vernichtende Kritik über das iranische Mullah-Regime enthält. Er hätte auch mit "We, The People" überschrieben sein können. Lesenswert!
Für ein Museum des Kapitalismus
David Kelley stellt in der neuesten Ausgabe des Navigator die ebenso berechtigte wie für unsere Kultur enthüllende Frage, warum es kein Museum des Kapitalismus gibt.
Die große Abtreibungsdebatte
Unter dem Titel "An Objectivist Condemnation of Abortion" hat G. Stolyarov II eine heftige Abtreibungsdebatte auf der objektivistischen Site soloqh.com ausgelöst. Stolyravov vertritt die für einen Objektivisten sicherlich sehr untypische Auffassung, dass es sich bei einem Fötus nicht um einen potentiellen Menschen handelt, sondern um eine "futuristische Gewissheit" wie dies auch bei einem schlafenden Menschen und einem Kind der Fall wäre. Zwar habe ein Fötus kein volititionales Bewußtsein, dies habe ein schlafender Mensch aber auch nicht. Für Stolyarov sind potentielle Menschen nur solche, die noch gar nicht gezeugt wurden, d. h. deren spezfisches Genom noch nicht feststeht. Da auch der Tod eine "futuristische Gewissheit" für alle Menschen ist und Stolyarov sicherlich lebende Menschen nicht wie Tote behandelt sehen möchte, sieht es sich zu dem Einwurf veranlasst, dass das menschliche Leben der höchste Wert in der objektivistischen Ethik sei und der Tod einen Nicht-Wert darstellt, und dass eben deshalb diese Differenzierung zulässig sei. Er sieht eine Abtreibung als eine Initierung von Gewalt gegen ein "futuristisch gewisses menschliches Wesen" an, was die Person, die diese Gewalt ausübt, zu einem Kriminellen macht. Diese Position hat heftige Gegenstimmen provoziert. Mittlerweile gibt es im Diskussionsforum über 70 Stellungnahmen, wobei allerdings Stolyarow mit seiner Argumentation allerdings recht allein auf weiter Flur steht.

Tatsächlich lassen sich zum Thema Abtreibung auch durchaus ambivalente Äußerungen bei Ayn Rand oder Leonard Peikoff finden, obwohl das Ayn Rand Institute Frauen die unbeschränkte Möglichkeit der Abtreibung einräumen möchte. In "A Last Survey" schreibt Rand, dass man über die späteren Phasen der Abtreibung diskutieren könne, aber die wesentliche Frage nur die ersten drei Monate betreffe. Leonard Peikoff schreibt im Juni 1986 in TOF, dass die Neuen Rechten "sogar" die Abtreibung in der ersten drei Monaten der Schwangerschaft verbieten lassen wollen.

Entscheidendes Kriterium bei der Frage der Verleihung von Rechten an Föten ist in der Tat die Frage, welchen Status diese einnehmen, denn wie Rand feststellte, gehören Rechte nur Menschen. In OPAR beantwortet Leonard Peikoff diese Frage recht eindeutig: "Ein Potential ist keine Aktualität, und ein befruchtetes Ei, ein Embryo oder ein Fötus sind keine menschlichen Wesen." Ein befruchtetes Ei oder ein Embryo sind biologisch gesehen zwar menschlich, aber sie sind keine Personen, ebenso wie ein hirntoter Mensch keine Person mehr ist. Sie sind deshalb keine Personen, weil sie noch nicht oder nicht mehr über ein volititonales Bewußtsein verfügen. Ein schlafender Mensch verfügt über ein solches, auch wenn er es zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht benutzt. Er bleibt somit auch während seiner Schlafphase ein rationales Wesen, ebenso wie ein Mensch, der die Luft anhält, weil er sich unter Wasser befindet, ein atmendes Wesen bleibt.