Samstag, November 27, 2004

Der Mythos des kapitalistischen Jesus
In der neuesten Ausgabe des ef-magazins gibt es einen Artikel von Robert Grözinger, der den Mythos eines "kapitalistischen" oder gar "anarchistischen" Jesus beitragen soll. In dem genannten Aufsatz erwähnt der Autor auch das Gleichnis vom Weinbauern, das belegen soll, dass Jesus das "private, uneingeschränkte Eigentums- und Vertragsrecht" verteidigt habe. Seltsamerweise schildert der Autor dieses Gleichnis gar nicht, und wenn man die besagte Geschichte in der Bibel nachliest, könnte man den Verdacht hegen, dass dies keine zufällige Unterlassung ist. In diesem Gleichnis geht um einen Weinbauern, der früh am Morgen einige Arbeiter anheuert, die für eine bestimmte Geldsumme in seinem Garten arbeiten sollen. Nach drei, sechs und neun Stunden heuert er weitere Arbeiter an, denen er nur verspricht, dass sie gerecht entlohnt würde. Am Ende des Arbeitstages stellt sich allerdings heraus, dass er alle Arbeiter unabhängig von der geleisteten Arbeitszeit gleich bezahlen will. Man kann sich leicht vorstellen, dass die zuerst eingestellten Arbeiter über diese ungerechte Entlohnungspraxis ausgesprochen unzufrieden waren und das Gleichnis erwähnt auch, dass sie "murrten". Der Weinbauer weist ihren Protest allerdings zurück: "Ist es mir nicht erlaubt, mit meinen Dingen zu tun, was ich will?" Der Kern des Gleichnis besteht aus einer Entlohnung nach dem kommunistischen Prinzip "Jeder nach seinen Bedürfnissen", nicht daraus, der Weinbauer sich im Rahmen seiner Rechte bewegte, was er zweifellos tat. Das "private, uneingeschränkte Eigentums- und Vertragsrecht" ist ein wichtiges Hilfsmittel, dass die Voraussetzung dafür schafft, dass Menschen ihrem rationalen Urteil folgen können. Es ist allerdings keine Garantie dafür, dass Menschen auch tatsächlich moralisch handeln. Der Weinbauer handelt so, wie es vielleicht auch ein marxistischer Unternehmer tun würde, der sich bei der Bezahlung seiner Mitarbeiter möglichst wenig an deren individueller Leistung orientieren möchte.

Freitag, November 26, 2004

Das Ende der Fahnenstange
Was haben Rudi Völler, seines Zeichens ehemaliger Teamchef der deutschen Fussballnationalmanschaft, und die liberale Zeitschrift ef-magazin gemeinsam: Wenn man denkt, sie haben einen Tiefpunkt erreicht, wird man sofort eines Besseren belehrt und es folgt ein weiterer...Tiefpunkt. Im vorletzten Heft nervte die Zeitschrift mit einem seitenlangen Interview mit dem NPD-Vorsitzenden Voigt, wo dieser auch sehr deutlich machen konnte, dass er den "Neoliberalismus" sehr wohl als seinen Hauptfeind ansieht. Das Interview sollte selbstverständlich nur der Information dienen, was man mit analytischen Artikel, eventuell vorbereitet durch ein Hintergrundgespräch mit dem NPD-Chef, weitaus besser hätte bewerkstelligen können. Dass diese seltsame Auswahl bei den Gesprächspartnern kein einmaliger Ausrutscher war, sondern bewußte Politik des Herausgebers ist, müssen wir leider nun in der neuesten Ausgabe feststellen. Wiederum werden Interviewpartner präsentiert, die eines gemeinsam haben: sie haben absolut nichts mit dem Liberalismus zu tun. Der wären zum Beispiel zwei Vertreter der Familien-Partei, die bei zwei Landtagswahlen immerhin 3,0 und 2,6 % der Stimmen erzielen konnten, und uns die wichtige Information vermitteln, dass sie demnächst mit der ÖDP fusionieren wollen - einer weiteren Kleinpartei. Die beiden Parteivertreter präsentieren in ihren Antworten nichts als Mainstream, den jeder x-beliebige CDU-Funktionär auch hätte vertreten können, mit dem Unterschied allerdings, dass dieser sich in einer Partei mit Einfluss befindet, von dem diese beiden Familienparteiler meilenweit entfernt sind. Diese Fixierung auf deutsche Kleinparteien ist für den ef-Herausgeber Andre Lichtschlag durchaus typisch. Sie dürfte dem Irrglauben entspringen, dass für einen kulturellen Wandel Änderungen innerhalb des Parteiensystems das entscheidende Vehikel sind, wobei allerdings übersehen wird, dass politische Veränderungen nur das letzte Glied in der Kette der Veränderungen sind, die viel tief gehenderen philosophischen und ethischen Einstellungen nachfolgen. Wenn die CDU zerfiele und ihr einige andere Parteien nachfolgen würden, darunter möglicherweise auch einige von den heutigen Kleinparteien, wäre damit politisch überhaupt nichts gewonnen, sondern wir würden nur mit neuen Namen und Figuren "the same procedure as every year" erleben. Ergo: Die Beschäftigung mit Kleinparteien ist Verschwendung von Zeit, Mühe und Druckerschwärze. Herr Lichtschlag hat sich allerdings auch in dieser Ausgabe nicht mit den vergleichsweise langweiligen Vertretern einer unbedeutenden Kleinpartei zufrieden gegeben, sondern befriedigt auch wieder sein Interesse -möglicherweise auch das sein Leser- an gnadenlosen Kollektivisten. Diesmal ist er allerdings auf der äußersten Linken fündigt geworden: Ralf Fischer, Mitglied einer "linkskommunistischen Gruppe". Dieser junge Mann zeigt zwar bei einigen konkreten Problemstellungen ein gewisses Maß an Realitätssinn, etwa wenn er von den "islamistischen Schlächtern" spricht, zeigt aber bei seinen mehr abstrakten Äußerungen einen gefährlichen realitätsblinden Utopismus, was eine Herrschaft seiner Glaubensgenossen als ebensowenig verlockend erscheinen läßt wie die der nationalistischen Truppen. Abgesehen von den mehr als kuriosen Interviews, finden sich auch einige Aufsätze, diesmal schwerpunktmäßig zum Thema "Christentum und Freiheit". Bereits der die Titelseite läßt erahnen, mit welcher Tendenz hier argumentiert wird: "War Jesus Kapitalist? Oder war er gar ein Anarchist?" Bisher hatte ich den charismatischen, herumwandernden Prediger für einen ausgemachten Altruisten und Pazifisten gehalten, aber bin natürlich dankbar für jede Erweiterung meines intellektuellen Horizonts, oder sollte Andre Lichtschlag die Titelseite seines Satiremagazins Gustloff versehentlich auf das ef-magazin gesetzt haben? Nun ist natürlich legitim, wenn der Herausgeber einer kleinen Zeitschrift diese als Möglichkeit ansieht, seine persönlichen Launen zu verwirklichen, aber er sollte sich dann nicht wundern, wenn er dies irgendwann ohne Leser tun muss.




Sonntag, November 21, 2004

Kant in der Presse
Der Konservative Dinesh d'Souza hat sich im OpionionJournal.com eine Gruppe atheistischer Materialisten, die sich The Brights nennen, argumentativ vorgenommen und greift dazu auf den Philosophen Immanuel Kant zurück. D'Souza sieht die Brights und andere, wie er es nennt, im "Trugschluss der Aufklärung" gefangen, auf den zuerst Kant hingewiesen haben soll. "Der Aufklärungstrugschluss geht davon aus, dass die menschliche Vernunft und die Wissenschaft, im Prinzip, die gesamte Realität demaskieren können", schreibt d'Souza. Kant habe in seinem Werk "Kritik der reinen Vernunft" aber gezeigt, dass diese Prämisse falsch sei. Kants Argumentation bestreitet zwar nicht die Möglichkeit der Wahrnehmung, zeige aber ihre bedeutsamen Grenzen auf. Die Grenzen für die Wahrnehmung der Realität ist nach Kant inhärent in der menschlichen Natur verankert. Kant öffne, nach seinen eigenen Worten, "die Tür des Glaubens" dadurch, dass er die Grenzen der Vernunft aufzeige.