Archöologie des Antiamerikanismus
Der Historiker Klaus Schwabe begann seine Vorlesung im Augustinerkloster zum Thema Antiamerikanismus mit einem Zitat:
"Den Amerikanern traue ich eine große Zukunft (schon) deshalb nicht zu, weil sie in meinen Augen ein verderbter und korrupter Staat sind. Dazu kommen noch Gesellschaftsgegensätze in der schwersten Form. Das antike Rom war ein kolossaler ernster Staat ... In England ist das heute nicht so. Trotzdem ist mir ein Engländer tausendmal lieber als ein Amerikaner ... Einen Haß und eine Abneigung tiefster Art habe ich gegen den Amerikanismus. Jeder europäische Staat steht einem näher."
Das Zitat ist von Adolf Hitler. Es datiert aus dem Winter 1941/1942 nach der deutschen Kriegserklärung an die USA. Hitlers bekundete Abneigung "tiefster" Art gegenüber Amerika ist verständlich, weil er Amerika als das Land der Aufklärung ablehnte, weil er Amerikas Gründungsideal -die Rechte des Individuums- ablehnte, weil er Amerika als die erste moralische Gesellschaft der Geschichte ablehnte. Dies ist die primäre Quelle des Hitlerschen Antiamerikanismus, nicht der machtpolitische Gegensatz zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten, auch wenn dieser die ursprüngliche Motivation noch verstärkt haben dürfte.
Antiamerikanismus bedeutet die Stilisierung Amerikas zum Popanz, weil es für die Werte der Aufklärung steht, die abgelehnt und bekämpft werden. Der Hass auf bestimmte Werte existiert unabhängig von der Existenz Amerikas, er fokusierte sich nur mit einer wachsenden internationalen Bedeutung der USA aus unterschiedlichen Motiven auf die USA. Die Existenz eines militanten Antisemitismus hat nichts mit der Existenz von amerikanischen Juden zu tun, er projiziert lediglich antisemetischen Hass auf einen ganzen Staat, der mit Juden in Verbindung gebracht wurde und wird. So sprachen Vertreter der antisemitischen "Rechten" in den zwanziger Jahren von Amerika als dem "Judenstaat" oder vom Amerikanismus als "geronnenem Judengeist." Die gemäßigt Linke geißelt Amerika als "Plutokratie", während die radikale Linke in Amerika den eigentlichen Kriegstreiber sah, der zum Nutzen der eigenen Waffenindustrie handele. Der Antiamerikanismus hat auch nichts mit Unwissenheit zu tun. Das antiamerikanische Standardwerk der zwanziger Jahre stammte von einem Journalisten, der Amerika sehr gut kannte. Klaus Schwabe sieht in seiner Vorlesung den Beginn der antiamerikanischen Strömungen in Deutschland erst im 20. Jahrhundert, als deutsche und amerikanische Interessen in der Welt aufeinanderstießen, wobei erst der Ausbruch des 1. Weltkrieges den Antiamerikanismus wirklich massenwirksam werden ließ. Schwabe sieht auch durchaus die Gemeinsamkeiten des Antiamerikanismus des zwanziger Jahre und des Antiamerikanismus der "Achtundachtziger" - trotz aller Unterschiede, wenn er dies bedauerlicherweise nicht in seine Definition von Antiamerikanismus mit einbezieht: "Vor allem teilt er mit seinem Vorgänger die Stoßrichtung gegen das vorherrschende politische 'System' im eigenen Land, überhaupt gegen den 'bürgerlichen' Liberalismus und dessen Werte; er teilte auch die Solidarisierung mit dem, was man vor 1933 als 'Gemeinschaft der jungen Völker' bezeichnet hatte und was jetzt 'Dritte Welt' genannt wurde." Gemeinsam ist dem historischen und dem aktuellen Antiamerikanismus auch die Neigung, die Realität zugunsten des antiamerikanischen Popanz nicht wahrnehmen zu wollen, so zum Beispiel die Unterstützung Amerikas für die deutsche Wiedervereinigung oder die Rückendeckung, die Amerika Deutschland bei der Revision des Versailler Vertrages tatsächlich gab.
Es sollte nicht verschwiegen werden, und Schwabe weist dankenswerter Weise darauf hin, dass zu den Hochzeiten des kulturkritisch argumentierenden Antiamerikanismus der zwanziger Jahre auch eine Gegenbewegung "in der Presse der demokratischen Mitte" sich wiederspiegelte, die Amerika vielfach als Vorbild ansah.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen