Mittwoch, Mai 21, 2003

Es war so offensichtlich
Das Handelsblatt interviewte den Zukunftsforscher Peter Schwarz:
In den 40er-Jahren hat Herman Kahn das Planen von Szenarien eingesetzt, um die Möglichkeiten für einen Atomkrieg auszuloten. Aber hätte irgendjemand den Angriff vom 11. September vorhersagen können?
"Es war das am besten prognostizierte Ereignis in der Geschichte. Es war von so vielen Leuten vorhergesagt worden - auch von mir, wenn ich das hinzufügen darf. Es war so offensichtlich. Und die Tatsache, dass wir nicht vorbereitet waren, ist ein Verbrechen. Osama Bin Laden hat angekündigt, dass er es tun wird. Und er hat sein Wort gehalten. Wir hatten der Hart-Rudman-Kommission für die Nationale Sicherheit der USA im 21. Jahrhundert geschrieben, dass die Kräfte um Bin Laden und Al Qaida Jumbo-Jets in das World Trade Center und wichtige Gebäude in Washington fliegen würden. Wir waren nicht die Ersten und einzigen, die das sagten. Eine ganze Reihe von Leuten hatte es prognostiziert. Wenn man sich durchlas, was Bin Laden gesagt hat, und sich dann die Geschichte und sein Verhalten angeschaut hat. Er hat das World Trade Center schon einmal angegriffen. Und er kommt zurück, wenn er seine Ziele nicht beim ersten Mal erreicht. Es war also die einfachste Sache der Welt, diese Ereignisse vorwegzunehmen. Man konnte nicht wissen, dass es genau am 11. September stattfinden würde. Aber man wusste, es würde kommen. Im Verlauf des Sommers gab es viele Signale dafür, dass etwas Großes bevorstand. Und das war die Sache, die er am offensichtlichsten plante."

Nach dem Krieg gegen baathistische Regime im Irak kann sich derartiges in Bezug auf Saddam Hussein nicht mehr wiederholen. Die Erkenntnis "Man hätte es wissen müssen" wird es nicht mehr geben. Das Übel wurde mit Stumpf und Stiel entfernt. Dies ist sicherlich eine gute Nachricht, wenn sie auch nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass der ehemalige irakische Diktator bedauerlicherweis nicht der einzige, und vermutlich auch nicht der gefährlichste, von den Terrormeistern gewesen sein dürfte. Die Bemerkungen von Schwarz implizieren die richtige Erkenntnis, dass die Aufgabe der Regierung ist, die Bürger vor Kriminellen und äußeren Feinden zu schützen. Die Regierung Bush hat sich nach dem 11. September, zumindest verbal, dem Grundsatz verpflichtet, nicht mehr bloss passiv abzuwarten bis der Revolver abgefeuert wird ("smoking gun"), sondern auch präventiv gegen Staaten vorzugehen, die Terroristen unterstützen und Zuflucht gewähren. Ein derartig prinzipieller außenpolitischer Ansatz prägte vor dem 11. September die Außenpolitik der USA nicht. Es wurde kurzfristig und widersprüchlich agiert. Die pflichtschuldige Bombadierung eines vermuteten Trainingslagers von Terroristen ist kein Ersatz für eine stringente Außenpolitik. Dazu bedarf es einer großen Klarheit über das Wesen der Philosophie des Feindes und den Willen, das Übel an der Wurzel zu packen.

Bei diesem Feind handelte und handelt es sich um anti-westliche Nihilisten, die das Gute hassen, eben weil es gut ist. Jede Beschwichtigungspolitik gegenüber diesen Fanatikern ist zum Scheitern verurteilt, weil sie ihren Hass nicht besänftigt, sondern ihn geradezu stimuliert, weil diese Politik ihnen das Gefühl gibt, dass ihr Feind -die westliche Zivilisation- schwach ist. Geheimdiensterkenntnisse können eine Regierung wichtige Hinweise über Ausmass und Aktualität einer äußeren Bedrohung liefern. Trotz großer Bemühungen und gelegentlicher Erfolge der Geheimdienste wäre es fahrlässig, wenn sich westliche Regierungen der Illusion hingeben würden, damit die terroristischen Strukturen transparent machen zu können. Dies mag im Fall der deutschen NPD der Fall sein, bei den radikalen Islamisten ist die Abschottung und Geheimhaltung viel schwieriger zu durchstoßen. Im Fall von Osama Bin Laden -dies deutet auch Schwarz an- bedurfte es noch nicht einmal derartiger Erkenntnisse, um die Bereitschaft und die Fähigkeit dieses Terroristen zu erkennen, schwere terroristische Anschläge gegen den Westen, speziell gegen die USA, zu führen. 1996 gab Bin Laden bezeichnete Bin Laden die USA in einer Kriegserklärung als "Satan." Jeder gut informierte Zeitungsleser musste zu der Schlussfolgerung kommen, dass sich Amerika einer tödlichen Bedrohung durch einen ideologischen Feind ausgesetzt sieht. Im Falle einer solchen Klarheit ist es die Pflicht einer Regierung zu handeln. Auch präventiv.

Schwarz scheint davon auszugehen, dass es bei gut funktionierenden Geheimdiensten möglich gewesen wäre, die Terroristen vor dem Zuschlagen unschädlich zu machen. Dies wäre sicherlich ein großartiger Erfolg gewesen und hätte die Medien einige Tage in Aufregung versetzt. Es hätte aber nichts an der Grundkonstanten der Bedrohung des Westens geändert. Und vermutlich hätte es auch an der Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik wenig bis gar nichts geändert. Bin Laden hätte diesen Rückschlag benutzt, um seine Anstrengungen zu verstärken, um beim nächsten Mal erfolgreich zuschlagen zu können. Und dann hätte er die Geheimdienste möglicherweise überlistet. Gute Geheimdienstarbeit, so notwendig sie auch sein mag, ist kein Ersatz für eine rationale Außenpolitik der USA und anderer gutwilliger westlicher Nationen, die die Bedrohungen ihrer Bürger in großer Nüchternheit und Klarheit analysiert und rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen einleitet.

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