Sonntag, Mai 18, 2003

Die Justiz gegen die persönliche Verantwortung
In Deutschland würden wohl nur Kinder und Narren annehmen, dass Kriminelle, die zu lebenslänglich Gefängnis verurteilt wurden, auch tatsächlich bis zum Ende ihres Lebens im Gefängnis sitzen. In den Niederlanden gibt es tatsächlich ein "lebenslänglich", dass diesen Namen auch verdient. Diese Strafe wird eben deshalb auch bezeichnenderweise sehr selten ausgesprochen, auch nicht für den Mörder des Politikers Pim Fortuyn, der kürzlich nur zur einer zwölfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Vermutlich gingen die holländischen Richter in einer Zukunftsbetrachung davon aus, dass das Phänomen "Fortuyn" eine derartige Einmaligkeit besitzt, dass der Täter im Laufe seines weiteren Lebens eine solche Tat nicht noch einmal begehen wird und deshalb nur milde zu bestrafen ist. Mit einer gewissen Konsequenz werden in Deutschland immer wieder Diskussionen lanciert, die auch eine formelle Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe fordern. In einer abstoßenden moralischen Argumentation wird dies mit der subjektiven Befindlichkeit ... der Täter begründet. Aber dies ist nur die Spitze eines Justiz-Eisberges, der die persönliche Verantwortung des Straftäters für seine Taten ersetzt durch Bemühungen, ihn gleichsam wie ein verirrtes Schaf durch verschiedene Maßnahmen der "Wiedereingliederung" wieder auf den richtigen Weg zu bringen, unabhängig von der persönlichen Schwere seiner Schuld. Die Verwendung des Wortes "Resozialisierung" für die Bemühungen um eine Besserung der Kriminellen ist äußerst verräterisch, zeigt sie doch an, dass die Befürworter dieses Konzeptes davon ausgehen, dass es sich bei Kriminellen um normale Menschen handelt, die nur durch ungünstige äußere Bedingungen oder psychische Vorbelastungen zu ihren Taten "getrieben" wurden. Die USA scheinen für den oberflächlichen Betrachter eine Ausnahme unter den westlichen Staaten bei der Behandlung von Straftätern zu sein. Diese Einschätzung dürfte vorwiegend auf die Diskussion um die in Amerika gelegentlich vollstreckten Todesstrafe zurückgehen, die die europäische Gutmenschen immer wieder aufs Äußerste erregt, und amerikanische Gefängnisfilme, die einen ausgesprochen ungemütlichen Eindruck von der amerikanischen Gefängnisrealität vermitteln.

Bedauerlicherweise ist auch das amerikanische Justizsystem viel weniger auf Gerechtigkeit und persönliche Verantwortung fixiert als man dies gemeinhin annimmt. Davon zeugt das Buch Criminal Justice - The Legal System vs. Individual Responsibility, das von Robert James Bidinotto herausgegeben wird. So gibt es auch in Amerika solche Dinge wie Bewährungsstrafen, vorzeitige Haftentlassungen, hohe Rückfallquoten, Freigänge und Hafturlaube mit oft katastrophalen Folgen. Um mit dem Reizthema Todesstrafe zu beginnen. Bidinotto vertritt die Auffassung, dass die Todesstrafe für Mord die Standardstrafe sein sollte, jedenfalls dann, wenn an der Schuld des Täters kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen kann und keine mildernden Umstände geltend gemacht werden können. Dies wäre zum Beispiel im Mordfall Fortuyn der Fall gewesen. Oder welche mildernden Umstände sollte es geben für einen Täter, der einen ihm nur aus den Medien bekannten Politiker ermordet, bloss weil er anderer Meinung war als er selbst? Nicht verhängt werden sollte die Todesstrafe, wenn der Prozess überwiegend auf Indizienbeweisen beruhte. Die Hauptstossrichtung des Buches geht gegen die, die Bidinotto als "Entschuldiger" bezeichnet. Ihre Prämisse lautet: Die Straftäter sind nicht selbst verantwortlich. Dies geht bis zu Forderungen, die Gefängnisse abzuschaffen. In den sechziger und siebziger Jahren initiierte die Entschuldigungsindustrie eine leise Revolution im Justizsystem von Amerika. Die Kriminellen sollten nicht mehr bestraft, sondern "rehabilitiert" werden. Unterschiede tun sich bei den Entschuldigern nur bei der Frage auf, welche Faktoren, über die die Täter selbst keine Kontrolle haben, für die Kriminalität ursächlich sind.

Bidinotto hingegen entwirft den Umriss eines Rechtssystems, das die persönliche Verantwortung des Täters wieder beachtet. Kernstrategie ist die Durchsetzung des Prinzips der "moralischen Retribution".
Nach dieser Strategie würde dem Kriminellen eine Strafe auferlegt, die der Schwere des Schadens entspricht, die er angerichtet hat. "Retribution" soll im Sinne einer "Reflektion" die negativen Konsequenzen seiner Tat auf den Verursacher selbst zurückwerfen. Proportionalität zwischen Verbrechen und Strafe bedeutet Gerechtigkeit. Bidinotto definiert Gerechtigkeit folgendermaßen: "Ein moralisches Prinzip, das die Kausalität anerkennt und individuelle Verantwortlichkeit zuweist in den sozialen Beziehungen." Aber Gerechtigkeit ist kein Ziel an sich, sondern ein Mittel zur Erreichung eines höheren Zieles: dem inviduellen menschlichem Leben. Diese Gerechtigkeit ist untrennbar mit der Philosophie des Individualismus verbunden, weil es die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung nicht zerschlägt, wie dies der Kollektivismus tut. Der Kollektivismus akzeptiert nicht, dass die handelnden Individiuen die primären Nutznießer ihrer Handlungen sein sollten, sondern andere Personen, die nicht gehandelt haben. Nicht jede Ungerechtigkeit ist allerdings schon als "kriminell" zu bezeichnen. In einer Gesellschaft, die auf der Anerkennung der individuellen Rechte beruht, ist ein Verbrechen "jede bewusste, nicht einverständliche Handlung, die die Initierung von Gewalt, Betrug oder Zwang gegen eine andere Person oder gegen andere Personen umfasst".

In der konkreten Ausgestaltung seines Konzepts fordert Bidinotto zum Beispiel eine "progressive Bestrafung". Dies bedeutet, dass der Täter für den ersten Betrug zwei Jahre Gefängnis bekommt, für den nächsten vier Jahr und dann acht Jahre usw. Eine staatliche Entschädigung der Opfer wird abgelehnt, da dadurch alle Steuerzahler gezwungen werden die Untaten von einzelnen Individuen auszugleichen.
Für geringere Vergehen können Geldstrafen und Schadenersatzleistungen ausreichend sein. Für ernsthaftere Delikte ist die Verhängung einer Gefängnisstrafe die unumgängliche Maßnahme. Damit wird nicht nur der Gerechtigkeit genüge getan, ein Gefängnisaufhenthalt ist auch eine sichere Methode der Unschädlichmachung des Kriminellen und damit kriminalitätsreduzierend. Während er im Gefängnis sitzt, kann er keine weiteren Straftaten gegen unschuldige Bürger verüben. Sollten Gefängnisinsassen arbeiten, sollten die Erträge zur Entlastung des Steuerzahlers herangezogen werden, dem nicht zugemutet werden kann, über Gebühr an den Kosten des Unterhalts und der Bewachung der Kriminellen beteiligt zu sein. Eine weitere große Kostenentlastung des Steuerzahlers würde eintreten, wenn die Heerscharen von Sozialarbeitern, Psychologen und Psychiatern aus den Gefängnissen hinausgeworfen würden. Weder "gute Führung" noch Blutspenden noch religiöse Erweckungserlebnisse können Strafnachlässe begründen.

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