DIE WELT wird heute wieder einmal ihrem Ruf als beste deutsche Tageszeitung gerecht, vor allem durch den Abdruck von Wolfgang Sofskys Aufsatz "Nur der Irrtum weist den Weg zur Wahrheit". Sofsky verteidigt die uneingeschränkte Meinungsfreiheit, auch und gerade in Bezug auf die verschiedenen Religionen, die er als abiträr beschreibt:
Der Mißbrauch des Verstandes ist kein Grund, seinen weiteren Gebrauch zu verbieten. Historische Tatsachen zu leugnen und erdrückende Beweislasten zu ignorieren, ist kein Verbrechen, sondern eine Idiotie. Hier ist nicht die Justiz zuständig, sondern die Psychiatrie. Dummheit und Propaganda begegnet man nicht mit Zensur, sondern mit allen Mitteln öffentlichen Widerstreits. Überzeugungskraft erhält ein Urteil dadurch, dass man es berichtigen kann, sofern es falsch ist. Dies aber verlangt, dass die Mittel der Korrektur stets bereit sind, dass jedermann in seinen Worten und Gedanken frei ist. Nichts darf von der Freiheit der Gedanken ausgenommen werden. Auch das Heiligste kommt nicht zu Ehren, ehe der Teufel nicht alles dagegen gesagt hat. Weil Menschen für Irrtümer ebenso empfänglich sind wie für die Wahrheit, bedürfen sie der Gedankenfreiheit. Ein jeder mag glauben, was er will, aber er kann nicht erwarten, dass andere für heilig halten, was er selbst für heilig hält. Die Kritik der Religion ist mitnichten abgeschlossen. Gottesfantasien sind Vorstellungen über Gegenstände, an die man glauben, von denen man aber zuletzt nichts wissen kann. Gotteslästerung ist daher ein Ding logischer Unmöglichkeit. Wie soll man jemanden beleidigen, der nicht existiert? Zeus und Hera, Odin und Frigga, Hunabku und Ixchel kann man ebensowenig schmähen wie Einhörner oder Wolpertinger, auch wenn Menschen, die an die jeweiligen Götter glauben, gelegentlich vorgeben, sich beleidigt zu fühlen. Über etwas, dessen Existenz prinzipiell unbestimmbar ist, kann man alles und nichts sagen.
Wolfgang Sofsky ist Autor des Buches "Die Ordnung des Terrors"
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