Donnerstag, April 29, 2004

Ein Vortrag über Ethik
Bei einer Veranstaltung der Soroptimist International Club Biel-Bienne hielt die Philosophin Annemarie Pieper eine Rede, in der sie unter anderem sagte:

Wir werden nicht mit sozialer Kompetenz geboren. Von Natur aus sind wir Egoisten. Um gute Politik zu machen, müssen wir dem Egoisten in uns Schranken setzen. Dies zum Wohl aller, mit denen wir unsere Wertüberzeugungen teilen.

Die Vorstellung, dass wir als Egoisten geboren werden, ist weit verbreitet, gleichwohl falsch. Frau Pieper nennt auch keine Beweise dafür, dass dies so ist. Dem Menschen fehlt angeborenes Wissen. Er ist darauf angewiesen, dass er die Antworten auf die Fragen des Überlebens entdeckt. Dies tut es durch die Anwendung der Vernunft, seines einziges Mittels zur Sicherstellung seines Überlebens. Dieser Prozess läuft nicht automatisch ab, sondern setzt den Willen voraus, dies zu tun. Das Bewußtsein muss fokussiert werden. Auch wenn der Mensch dies tut, bedeutet dies nicht, dass der Erfolg garantiert ist. Der Mensch ist weder allmächtig noch unfehlbar. Die Erfordernisse des Überlebens werden von der Natur gesetzt, sie unterliegen nicht dem freien Willen des Menschen. Weil der Mensch die Fähigkeit hat, als sein eigener Zerstörer zu wirken, braucht er eine Ethik, einen Verhaltenskodex. Somit ist Ethik eine objektive, metaphysische Notwendigkeit für das Überleben des Menschen, abgeleitet aus den Basisaxiomen des Objektivismus. Den geborenen Egoisten soll nach Vorstellung von Frau Pieper durch Erziehung im frühen Kindesalter "soziale Kompetenz" vermittelt werden. Was genau wir uns darunter vorstellen können, bleibt unklar. Wohlwollen? Altruismus? Wir erinnern uns: Altruismus ist die Doktrin, die behauptet, dass nur Handlungen zugunsten anderer Personen gut sind. Jedenfalls steht die "soziale Kompetenz" im Widerspruch zu dem, was die Referentin unter einem offenbar angeborenen Egoismus versteht und somit liegt der Verdacht nahe, dass altruistische Verhaltensweisen gemeint sind. Zumal sie hofft, dass gewählte Politiker ihre "soziale Kompetenz" auch in der Politik "umsetzen" würden. Durch Umverteilung und Sozialstaat? Bei der Rangliste von Werten, die die Referentin nennt, fällt auch auf, dass sie die "ökonomischen Werte" -"das Recht, durch Arbeit und Handel Werte zu erwirtschaften"- erst in den dritten Rang stellt.
"Zuoberst" sieht sie die ethischen Werte, die sie von den moralischen und ökonomischen Werten abtrennt, und die sie folgendermaßen definiert: "Grundwerte, in denen die Menschenwürde und damit die Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit verankert sind." Erst darunter figurieren die "moralischen Werte", die allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen sollen.
Wenn es der Zweck der Ethik ist, zu definieren, welchen Werte und Interessen ein Menschen folgen sollte, dann bleibt bei den Zuhörern von Annemarie Pieper die Erkenntnis, ihren Egoismus bekämpfen zu sollen und bei ihren Kindern möglichst frühzeitig mit der Egoismusbekämpfung zu beginnen. Der Objektivismus bejaht den Egoismus, den Frau Pieper ablehnt. Der Objektivismus geht davon aus, dass die Beschäftigung mit seinen eigenen Interessen -ein rationaler Eigennutz- das Wesen einer moralischen Existenz ist. Er geht fernerhin davon aus, dass der Mensch Nutznießer seiner eigenen moralischen Handlungen sein muss, dass Ethik objektiv, nicht subjektiv oder relativ sein muss.

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