Sonntag, Januar 25, 2004

Altruismus: Die Anti-Selbst-Ethik
In der Zeitschrift "Gehirn & Geist" unternehmen die Autoren Ernst Fehr und Suzann-Viola Renninger den Versuch, zu beweisen, dass der Mensch "vermutlich die einzige Spezies (ist), die eine Genetik besitzt, die selbstloses, echtes altruistisches Verhalten fördert."
Auffällig an ihrer Argumentation ist eine systematische Vermischung von Altruismus und Wohlwollen. Die Befürworter des Altruismus wollen durch die Einführung solcher Begriffe wie Freundlichkeit, Kooperation und Hilfsbereitschaft die tatsächliche Bedeutung von altruistischen Handlungen vor ihren Opfern verbergen. Selbstverständlich wird auch eine Person wie Adolf Hitler nicht als Altruist präsentiert, wie es etwa Ayn Rand mit der Bemerkung tat, dass Hitler ein "glühender und expliziter Befürworter des Altruismus" war.
Auch werden altruistische Handlungen wie selbstverständlich als freiwillig erbracht dargestellt, als liefere der philosophische Altruismus keine Begründung dafür, solche Handlungen auch zu erzwingen. Eklektizistische, unphilophische Altruisten sehen den Dienst an anderen zwar als moralisch verpflichtend an, wollen diesen aber nicht durch die Anwendung von Zwang durchsetzen. Überzeugte philosophische Altruisten verwerfen diesen Ansatz allerdings als individualistisch und nehmen an, dass die Anwendung von Gewalt zur Unterdrückung der Selbstsucht ethisch gerechfertigt sei, ja sogar, wie Leonard Peikoff in seinem Aufsatz "Altruism, Pragmatism and Brutality - Part II" aus der Zeitschrift "The Ayn Rand Letter" (Dezember 1972) schreibt, "ethisch geboten" sei. Jeder Mensch, fasst Peikoff ihre Argumentation zusammen, sei das Eigentum von anderen - und diesen anderen solle auch ein lebenlang gedient werden. Wenn der Mensch versuchen sollte, das notwendige Opfer nicht freiwillig zu erbringen, schade er dadurch anderen Menschen, enthalte ihnen das vor, was moralisch ihnen gehöre.

Tatsächlich sind Wohlwollen und Altruismus nicht nur anders, sie stehen in einem völligen Widerspruch zueinander. Das Wesen des Altruismus besteht aus dem Konzept der Selbstaufopferung. "Opfer" ist die Aufgabe eines größeren Wertes zugunsten eines geringeren Wertes oder eines Nicht-Wertes. Altruismus ist eine Anti-Selbst-Ethik, weil sie Selbstlosigkeit als Ideal betrachtet. Der Altruismus verpflichtet einen Menschen dazu, die Wohlfahrt der anderen über seine eigene zu stellen. Je mehr ein Mensch seine Werte aufgibt oder betrügt, desto tugendhafter ist er. Besonders tugendhaft, weil selbstlos, sind somit Opfer gegenüber Fremden oder sogar Feinden. Das völlige gegenteilige Verhalten empfiehlt Rand rationalen Menschen: "Handle immer in Übereinstimmung mit der Hierarchie deiner Werte, und opfere nie einen größeren Wert für einen geringeren." Die Sorge um die, die wir lieben, ist ein Bestandteil der egoistischen Interessen eines Menschen und hat nichts mit altruistischer Selbstaufopferung zu tun. Eine "selbstlose", "desinteressierte" Liebe ist ein Widerspruch in sich selbst. Ein Mann, der ein Vermögen ausgibt, um die lebensbedrohende Krankheit seiner Frau behandeln zu lassen, bringt kein Opfer zu ihren Gunsten, sondern handelt entsprechend der Hierarchie seiner Werte, in der seine Frau eine überragende Stellung einnimmt. Eine Opfer wäre es allerdings, wenn dieser Mann sein Geld zur Rettung von 100 hungernden Kindern in Afrika, die keine Bedeutung für ihn haben, verwenden würde, wie die Ethik des Altruismus von ihm fordert.

Entgegen der Behauptungen der Altruisten macht der Altruismus eine wahre Brüderlichkeit unter dem Menschen unmöglich. Wer Menschen unterteilt in Opfertiere auf der einen Seite und Profiteure von menschlichen Opfern auf der anderen Seite, schafft Feindseligkeit und Hass unter den Menschen. Wer einmal eine Talk-Show im Fernsehen zum Thema "Sozialschmarotzer" verfolgt hat, wird kaum behaupten können, dass der Wohlfahrtsstaat zum Frieden unter den Menschen beiträgt, angesichts der Unversöhnlichkeit mit der sich Leistende und Profiteure gegenüberstehen.
Wohlwollen, Freundlichkeit und Respekt vor den Rechten anderer Menschen erwachsen gerade aus dem gegenteiligen Moralkodex, aus dem Prinzip, dass der Mensch eine Entität von höchstem Wert ist und eben gerade kein Opfertier, dass der Mensch kein Mittel zum Zweck der Opferleistungen für andere Menschen ist, und dass niemand das Recht auf das Opfer von irgendeinem Menschen hat. Zuerst muss der Mensch sich selber schätzen, dann kann er dieses Gefühl auch gegenüber anderen Menschen haben.

Befürworter des Altruismus kontern die Argumente von Vertretern eines rationalen Egoismus mit Beispielen aus Notfallsituationen. Ein rationaler Egoist kann anderen Menschen in Notfällen helfen, weil er den Wert des menschlichen Lebens anerkennt und seinen Mitmenschen bis zum Beweis des Gegenteils einen Kredit einräumt. Kein rationaler Mensch sollte allerdings in einen Fluss springen, um Saddam Hussein zu retten, weil dieser diesen Kredit aufgrund der bekannten Umstände verspielt hat. Um bei den Beispiel des Ertrinkenden zu bleiben, das Lieblingsbeispiel der Altruisten: Es ist moralisch richtig, einen Fremden vor dem Ertrinken zu retten, wenn das Risiko für das eigene Leben minimal ist. Sollte das Risiko hoch sein, ist es unmoralisch, dies zu versuchen. Wenn die Person nicht fremd ist, sollte das Risiko, dass man eingeht, größer sein in Abhängigkeit von der Wertschätzung der zu rettenden Person. Dies kann bis zum Risiko des Verlustes des eigenen Lebens gehen, wenn es um eine über alles geliebte Person geht, "aus dem selbstsüchtigen Grund, dass das Leben ohne die geliebte Person unerträglich wäre." (Ayn Rand, The Ethics of Emergencies) Diese Einstellung ist etwas völlig anderes als ein Mensch, der akzeptiert, dass es seine Pflicht ist, sein Leben in den Dienst an anderen zu stellen, dass irgendein Leiden oder irgendeine Hilflosigkeit eines anderen Menschen eine Verpflichtung für ihn selbst bedeutet. Der Altruismus fordert nicht, dass man anderen Menschen helfen soll, wenn kein Opfer erforderlich oder wenn man einen positiven Wert in einer anderen Person sieht, sondern er sieht das Recht auf der Seite von denjenigen, die Hilfe fordern, und nur Pflicht auf der Seite derjenigen, die Hilfe erbringen müssen.

Grunsätzlich sollte angemerkt werden, dass das Thema "Hilfe für andere " absolut marginal ist. Nur die Ethik des Altruismus macht daraus aus bedeutsames Thema. Altruisten bringen auch typischerweise zur Untermauerung ihrer Position Katastrophenbeispiele an, weil das normale, alltägliche Leben eines Menschen dafür nicht herhalten kann.

Literatur:
Ayn Rand, Editorial, in: The Ayn Rand Letter, Dezember 1972
Ayn Rand, The Ethics of Emergencies, in: The Objectivist Newsletter, Februar 1963
Nathaniel Brand, Benevolence versus Altruism, in: The Objectivist Newsletter, Juli 1962
Leonard Peikoff, Altruism, Pragmatism and Brutality, in: The Ayn Rand Letter, Dez. 1972

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