Reagans große Illusion
In den Nachrufen auf den verstorbenen Ronald Reagan wird dieser nicht nur von seinen ideologischen Freunden als Befürworter eines schlanken Staates und von freien Märkten präsentiert, ebenso als ein standfester Feind des Kommunismus. Auch auf der Website des Objectivist Center (TOC) findet sich bereits auf auf der Haupt-Site ein Verweis auf den Tod Reagans (mit Foto!), mit einigen doch recht positiven Beschreibungen des 40. Präsidenten der USA. Dieser habe verstanden, dass der Staat das Problem, nicht die Lösung sei und habe eine optimistische Vision von Amerika gehabt. Nichts über Reagan hingegen auf der Website des Ayn Rand Institute. Ayn Rand selbst hatte seinerzeit abgelehnt, für Reagan zu stimmen. Für sie war er ein typischer Konservativer, der Religion und Politik zu verbinden suche. Robert Tracinski, Schreiber des ARI, sieht in TIAdaily die Lobeshymnen auf Reagan als "größtenteils übertrieben" an. Seine tatsächliche Politik habe viele Fehler gehabt und sei untergetaucht in einem Sumpf von Pragmatismus.
Auch Wolfgang Münchau sieht in der Financial Times Deutschland Reagan als "konservativen Pragmatiker", versteht diese Charakterisierung aber keineswegs als Schmähung, sondern als Auszeichnung. Demgegenüber sei George W. Bush ein "konservativer Fanatiker". Was den Fanatiker von dem Pragmatiker unterscheidet, erklärt Münchau nicht explizit. Er gibt nur den Hinweis, dass Reagan nur "bedingt ein Überzeugungstäter" gewesen sei. Dies ist als erster Hinweis auf das, was einen Pragmatiker ausmacht, schon recht gut zu gebrauchen. Es geht in der Tat um Überzeugungen, genauer gesagt um Prinzipien. Ein Pragmatiker ist jemand, der Prinzipien als unpraktisch ablehnt und stattdessen eine Politik befürwortet, die für den Augenblick "funktioniert". Eine Politik des Pragmatismus führte etwa zum Münchner Abkommen von 1938, durch das Nazi-Deutschland ein großer Teil der Tschechoslowakei von den West-Mächten zugesprochen wurde. Diese Politik "funktionierte" - für den Augenblick. An pragmatischen Politikern besteht auch heutzutage kein Mangel, weder in Deutschland noch in Amerika, und tatsächlich lassen sich sowohl Reagan und Bush jr. als pragmatische Politiker definieren. Welchen Gewinn kann aber eine Nation, die auf den Prinzipien von Individualismus, Säkularismus und Kapitalismus gegründet wurde, daraus ziehen, wenn Politiker diese Prinzipien ignorieren? Nun führte Reagan keinen größeren Krieg, was ihn für Münchau augenscheinlich sympathischer macht. Reagan brauchte tatsächlich keinen Schuss abfeuern zu lassen, um den Kalten Krieg zu gewinnen, weil sich das kommunistische System bereits in einer Phase des Niedergangs befand. Reagan beschleunigte diesen Prozess lediglich durch die Unterstützung von antikommunistischen Gruppierungen, z. B. der polnischen Solidarnosc. Diese realen Gruppierungen waren Ausdruck eines tatsächlichen Strebens nach Freiheit entsprechenden den Maßstäben der westlichen Staaten. Reagan glaubte an das universelle Streben nach Freiheit und Demokratie, ungeachtet von kulturellen Unterschieden. George W. Bush knüft an diese Politik an, nur ist es ungleich schwerer für ihn reale Freiheitsbewegungen in islamischen Ländern zu finden, die eine wirkliche intellektuelle und kulturelle Revolution verkörpern. Tatsächlich scheint er auch nicht an die Notwendigkeit an solchen Revolution zu glauben, denn immer wieder betont er, dass Armut, Tyrannei und die Unterdrückung der Frauen in islamischen Ländern nichts mit der vorherrschenden Kultur und Religion zu tun haben. Dies sei nur ein Versagen der politischen und wirtschaftlichen Doktrinen. Der Sieg des Pragmatismus über klare Prinzipien kann nur zu einem Verlust dieser Prinzipien und der Werte, die sie möglich machen, führen. Damals und heute.
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