Pearl Harbor: Keine Verschwörung Roosevelts
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. April beschäftigte sich Peter Herde mit Robert B. Stinnetts Wälzer Pearl Harbor. Wie die amerikanisches Regierung den Angriff provozierte und 2 476 ihrer Bürger sterben ließ und gießt dabei viel Wasser in den geschichtsrevisionistischen Wein, wie es die Junge Freiheit formuliert. Nach der Auffassung von Stinnett und anderer Verschwörungstheoretiker soll der amerikanische Präsident Roosevelt den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 nicht nur provoziert haben, sondern soll den exakten Zeitpunkt des Angriffs gewußt und diesen der Marineführung auf Hawai verheimlicht haben. Ähnliche Auffassungen hatten auch Philipp Egert und Gerard Radnitzky in der Zeitschrift ef-magazin vom September 2001 vertreten. In der redaktionellen Vorbemerkung dieses Aufsatz wird behauptet, dass es sich um eine "empörende, beinahe unglaubliche Geschichte" handelt, einen "Tatsachenbericht".
Egert/Radnitzky stützen sich ihrer Argumentation weitgehend auf das Buch von Stinnett, das sie am Schluss des Artikels auch als einzigen Literaturtipp benennen. Peter Herde zeigt sich überrascht von der Übersetzung des Buches von Stinnett ins Deutsche, denn P. H. Jacobsen und David Kahn, den Herde als den wohl besten Kenner der Materie bezeichnet, hatten Stinnetts Buch "mit ziemlich vernichtenden Rezensionen" bedacht. Allerdings sagt eine mögliche wissenschaftliche Wertlosigkeit eines Buches natürlich noch nichts darüber aus, ob ein Verlag nicht eventuell einen Profit mit einer Veröffentlichung erzielen kann, und Verschwörungstheorien, speziell mit einem negativen Bezug zu Amerika, lassen sich sicherlich im deutschsprachigen Raum gut vermarkten. Vergleicht man den Text von Herde mit dem von Eger/Radnitzky stößt man unter anderem auf einen Captain Arthur H. McCollum. Bereits bei der Funktionsbezeichnung dieses Regierungsmitarbeiters gibt es Differenzen: Eger/Radnitzky bezeichnen ihn als "Leiter der Marine-Nachrichtenaufklärung Fern-Ost", wohingegen ihn Herde als "Fernostexperten des Office of Naval Intelligence" bezeichnet. Für Eger/Radnitzky "schrieb McCollum ein Memorandum, das er am 7. Oktober dem amerikanischen Präsidenten vorlegte." Herde hingegen vermerkt über das McCollum Memorandum: "Laut Stinnett folgte Roosevelt in seiner Japan-Politik dem Memorandum des Captain McCollum -Fernostexperte des Office of Naval Intelligence- vom 7. Oktober 1940. Dieser riet nach einer langen und nicht sehr tiefgehenden Analsye der internationalen Lage dem Direktor seines Amtes, die Vereinigten Staaten sollten 'sofortige und aggressive Handlungen gegen Japan' einleiten. Stinnett muß selbst zugeben, daß er keinerlei Beweise dafür hat, daß dieses Schriftstück eines mittleren Chargen jemals dem Präsidenten vorgelegt wurde, was denn auch höchst unwahrscheinlich ist." Eger/Radnitzky unterschlagen in diesem Zusammenhang also die nicht unwesentliche Tatsache, dass Stinnett selbst zugibt, dass er keinen Beweis dafür hat, dass Roosevelt dieses Memorandum überhaupt gelesen hat. Zentraler Ansatzpunkt für die Anhänger einer Verschwörungstheorie um Pearl Harbor ist die Möglichkeit der Amerikaner, Funksprüche der Japaner betreffend des bevorstehenden Angriffes abehört und auch dechiffriert zu haben. Für Eger/Radnitzky hat Stinnett dies bewiesen: "Stinnett weist nach, dass die USA sich weit darüber hinaus gehende Einsichten verschaffen konnten und vor allem auch der sogenannte '5 num Code' der japanischen Marine gebrochen wurde. Die amerikanische Regierung und ihre Streitkräfte waren so in der Lage, seit Oktober 1940 die Absichten der japanischen Regierung sowie ihrer Seestreitkräfte mitzuverfolgen, soweit sich dies aus ihrer Funktätigkeit ergab."
Dies widerspricht der allgemeinen Meinung, dass die Amerikaner den Code JN-25 in den verschiedenen Varianten vor dem japanischen Angriff nicht gebrochen hätten. Herde schreibt über den angeblichen Nachweis des Bruches: "Stinnett dagegen behauptet ohne jeden Beweis, Amerikaner und Briten hätten bereits 1941 JN-25 in den verschiedenen Varianten gebrochen." Stinnett hat in seinem Buch auch den Angriffsbefehl "Besteigt den Berg Niitaka am 8.12" abgedruckt, mit den Dechiffrier-Vermerken "JN-25 B" und der "Navy Translation 10/14/1945", behauptet aber "entgegen aller gegenteiliger japanischer" Aussagen, dass der Funkspruch nicht verschlüsselt gewesen sei. Stinnett unterstellt einfach, dass zehntausende von Funksprüchen, die 1945 und 1946 dechiffriert wurden, gefälschte Dechiffrier- und Übersetzungsvermerke enthielten.
Herdes Gesamteinschätzung des Buches lautet: "Insgesamt leidet die Darstellung weitgehend am Fehler der politischen Perspektive, an belanglosen Abschweifungen, Widersprüchen, Wiederholungen und zahlreichen Fehlern, so daß Stinnetts Versuch als mißglückt bezeichnet werden muß, eine große Verschwörung des amerikanischen Präsidenten nachzuweisen, der die Pazifikflotte und über 2000 Gefallene geopfert haben soll, um sein Land in den Krieg gegen Japan und Deutschland zu führen." Auch weist Herde darauf hin, dass das amerikanische Nicht-Wissen durchaus Vorteile gehabt hätte: Hätten die Amerikaner vom Vorhaben der Japaner gewußt, wäre die Flotte ausgelaufen und angesichts der Überlegenheit der japanischen Flugzeugträger im offenen Meer versenkt worden und nicht im seichten Hafen um Ford Island - wo die meisten der Schiffe gehoben und später repariert werden konnten. Auch die Zahl der amerikanischen Gefallenen wäre bei dieser Variante erheblich höher gewesen.
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