Dienstag, Oktober 07, 2003

Das Vorsorgeprinzip
Das Vorsorgeprinzip ist ein ideologisches Mittel, um menschliche Unternehmungen zu unterbinden und gegen sie bestimmte Gesetze durchzudrücken. Das Prinzip selbst in seiner reinen Form ist bisher nicht zum Gesetz erklärt worden, wohl aber abgeschwächte Formen davon. Als Leitlinie ist es inzwischen fest etabliert und wird kaum noch hinterfragt. Hier erst einmal das abstrakte Prinzip, ohne alle schönfärberischen Umschreibungen:

Das Vorsorgeprinzip besagt, daß eine Handlung unterlassen werden muß, wenn nicht bewiesen werden kann, daß mit ihr keine Gefahren verbunden sind. Und weil das nicht bewiesen werden kann, muß jede Handlung unterlassen werden, wenn mit ihr unbekannte Gefahren verbunden sein könnten. Man beachte: man soll unbekannte Gefahren berücksichtigen; man soll etwas berücksichtigen, was man noch überhaupt nicht kennt. Finden kann man aber nur etwas, was existiert; Nicht-Existenz kann nicht gefunden werden. Ein Negativum kann nicht bewiesen werden, so wie Nicht-Existenz nicht bewiesen werden kann. Nicht-Existenz muß aber auch gar nicht bewiesen werden.

Die richtige Vorgehensweise wäre: Aus der Unauffindbarkeit einer Tatsache schließt man auf deren Abwesenheit. Aus dem Nichtauffinden von Risiken schließt man auf die Abwesenheit eines Risikos. Solange keine Indizien für Schadensmöglichkeiten gefunden wurden, ist eine logische Schlußfolgerung auf einen möglichen Schaden nicht zulässig.

Nehmen wir ein Beispiel: Sie haben ein neues Produkt entwickelt. Beim Entwickeln hatten Sie jahrelang Umgang damit. Ihnen ist beim Umgang nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Es sind keinerlei Schäden an Ihrer eigenen Gesundheit oder der Gesundheit fremder Personen aufgetreten. Das Vorsorgeprinzip sagt Ihnen nun: nein, das Produkt darf nicht auf den Markt gebracht werden, weil nicht bewiesen worden ist, daß keine Schäden entstehen könnten. Dann sagen sie: aber es sind doch bisher keine Schäden bekannt. Und wie soll ich denn beweisen, daß keine Schäden auftreten können ? Die Gegenseite sagt Ihnen nicht, wie Sie das beweisen sollen. Sie sagt Ihnen nur: wenn Sie das nicht beweisen können, dann darf das Produkt auch nicht auf den Markt. Wenn die Bevölkerung vor hundert Jahren das Vorsorgeprinzip akzeptiert hätte, dann würde es keine Elektrizität, keine Autos und keine Industrieanlagen geben.

Führen wir das ganze nun ad absurdum: Wenn ich auf die Straße gehe, dann könnte es sein, daß ich vom Auto überfahren werde. Also düfte ich nach dem Vorsorgeprinzip nicht auf die Straße gehen, denn das wäre viel zu gefährlich: es könnte etwas passieren, also muß ich es lassen. Selbst wenn ich bereits 50 Jahre lang jeden Tag auf die Straße gegangen bin und mir ist nie etwas passiert, dann wäre das nach dem Vorsorgeprinzip keine ausreichende Erfahrung, um auf die Straße zu gehen. Erst wenn ich einen Beweis geführt hätte, daß nichts passieren kann, dürfte ich mich auf die Straße wagen. Und da dieser Beweis nicht möglich ist, würde mich das Vorsorgeprinzip niemals auf die Straße lassen.

Das Vorsorgeprinzip fordert ein Leben ohne Gefahren und sieht selbst dort Gefahren, wo es keine gibt. Der Sinn des Vorsorgeprinzips: es dient der Verhinderung jeglichen Handelns. Mit dem Vorsorgeprinzip kann man gegen alles argumentieren und alles verbieten, wenn man es zum Gesetz gemacht hat. Es richtet sich nicht nur gegen jede Innovation, sondern auch gegen Altbewährtes. Der Versuch der konsequenten Anwendung dieses Prinzips würde jede Handlung unmöglich machen und damit menschliches Leben unmöglich machen. Es ist die Vorstellung eines boshaften Universums, in dem es nur Gefahren gibt, keine Möglichkeiten und Chancen. Es ist eine Weltanschauung, bei der man die "Dinge an sich" nicht kennen kann. Dahinter verbirgt sich die Wahrnehmungslehre von Kant: laut Kant kann der Mensch nicht verzerrungsfrei wahrnehmen. Kant behauptet, der Mensch könne nur das Oberflächliche der Dinge wahrnehmen, nie die "Dinge an sich", das heißt bildlich gesprochen, er könne nicht wahrnehmen, wie sie unter der Oberfläche sind, d.h. er könne nicht erkennen, wie die Dinge außerhalb der Realität sind. Bei dieser Wahrnehmung kann man aus dem Nichtauffinden von Indizien nicht auf deren Abwesenheit schließen.

Doch die boshafte Weltanschauung ist unnötig. Wenn man die Existenz einer objektiven Realität akzeptiert und für den Menschen die Möglichkeit einer verzerrungsfreien Wahrnehmung akzeptiert, dann kann man das Vorsorgeprinzip getrost über Bord werfen. Im Universum gelten unveränderliche Naturgesetze und diese Unveränderlichkeit ist eine Sicherheit gegen Risiken. Risiken sind abschätzbar. Und die Abschätzung und Beurteilung solcher Risiken sind ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens. Es lebe der Mensch !

Keine Kommentare: